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Meilensteine in der Geschichte der Banater Ortschaft Gertianosch (heute Carpinis/Rumänien)


Die Anfänge In den Landkarten des Banats (1761, 1778) ist nordwestlich von Bazos ein von Rumänen bewohnter Ort mit dem Namen Gertianosch vermerkt, der nach dem Frieden von Passarowitz (1718) kaiserliches Gebiet im damaligen Sankt-Andreaser Bezirk wurde. Auf Anordnung der Landesadministration fand 1766 eine Zwangsumsiedlung der Bewohner dieser Ortschaft nach dem Prädium (dt.: Weideland) DOBIN statt, wobei der Name der alten Siedlung beibehalten wurde.
Die entwurzelten rumänischen Bewohner gerieten bald in große Not und beantragten schon 1779 ihre Heimkehr, welche von Wien gebilligt wurde. Infolgedessen löste sich 1781 die rumänische Siedlung im Dobin auf.

Diese Nachricht ermutigte besitzlose Söhne und Töchter deutscher Siedler aus den umliegenden Gemeinden, ihren Wunsch nach Eigenständigkeit kundzugeben. Am 2. Juli 1781 erhielten 18 deutsche Familien aus Hatzfeld von der Wiener Hofkammer die Niederlassungserlaubnis im Dobin. Ihnen folgten Siedler aus Groß- und Kleinjetscha, Beschenowa, Bogarosch, Lenauheim, Triebswetter, Billed, Ostern. Alle wurden für 1 Jahr von Steuern befreit und in den Pfarrbüchern als "colonus" (dt.: Siedler) bezeichnet. Ein Bericht aus dem Jahre 1783 kundigt im deutschen "Nachwuchsort" 56 Häuser.

Im Oktober 1784 kamen 66 deutsche Siedlerfamilien unmittelbar aus dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation (Lothringen, Unterfranken, Luxemburg, Trier, Mainz, Bayern, Böhmen, Franken, Schwaben, Nassau, Oberschlesien). Sie wurden in den Pfarrbüchern mit dem Beiwort "neocolonus" bezeichnet und für 10 Jahre von herrschaftlichen Verpflichtungen befreit. Das deutsche Gertianosch verzeichnete nun 122 Haushaltungen.

Die Herrschaft
Zur Ansiedlungszeit wurde die Gertianoscher Herrschaft stellvertretend für den Kaiser durch die Temescher Kameralverwaltung ausgeübt um danach - 1790-93 vorübergehend und ab 1800 endgültig - von dem Agramer Bistum übernommen zu werden.
Der letzte Zusammenhang der Gemeinde mit der Herrschaft endete in den Jahren 1889-1891, nachdem Baronin Moscon, die in Pischätz (Steiermark) wohnte, das herrschaftliche Überland zum Verkauf frei gab. Die Urkunde über das Eigentumsrecht
der Gertianoscher Käufer wurde am 12. Februar 1894 in Billed unterzeichnet. 

Die Verwaltung
Zur Ansiedlungszeit und danach gehörten zur gewählten Dorfbehörde: Richter, Notar und Geschworene. Das Mitbestimmungsrecht des Grundherrn war jedoch bis 1848 wesentlich:
a) Er musste von der Richterwahl Kenntnis haben und dabei vertreten sein.
b) Er hatte zu dieser Wahl das Vorschlagsrecht von 3 Männern.
c) Er war berechtigt, den Richter abzusetzen.
Beginnend mit dem Jahr 1871 gab es den Gertianoscher Gemeinderat, der auf 6 Jahre gewählt wurde und aus 32 Ratsmitgliedern - 16 gewählte und 16 Virilisten (die größten Steuerzahler der Gemeinde) - bestand. Die Hälfte der Räte schied 3-jährlich aus. In der Nachtrianonischen Zeit schwankte die Zahl der Gemeinderäte zwischen 16 und 10; die Virilisten waren nicht mehr von Amts wegen Mitglieder des Gemeinderates. Gleichzeitig kam das Amt des Vizerichters und 1878 des Vizenotars (Unternotars) hinzu.

Mit den zunehmenden Verwaltungsaufgaben der Gemeinde wurden nach und nach Gemeindebeamte: Kassierer, Arzt, Tierarzt , Hebamme und Gemeindeangestellte: Polizisten (auch Plajasch genannt), Messner, Friedhofsdiener, Feldhüter (Kornick), Weingartenhüter, Nachtwächter, Kuhhalter und Schweinehalter eingesetzt.
In seinem 160-jährigen Bestehen hatte das deutsche Gertianosch ausschließlich deutsche Richter und Vizerichter und überwiegend deutsche Notare und Unternotare. Die letzten deutschen Amtsträger vor der Flucht 1944 waren Peter Michels (Richter) und der 1931 vom Gemeinderat gewählte Notar, Dr. Georg Mojem. 


Kriegszeiten und ihre Folgen
Der Türkenkrieg von 1788-1791 verschonte Gertianosch, jedoch beherbergten seine Bewohner Flüchtlinge aus dem Südbanat und bezahlten ihre Kriegssteuern.
Gertianosch wurde 1848 erst von den Kaiserlichen, danach von der ungarischen Landswehr (Honved) heimgesucht und jeweils zu Abgaben und zur Bereitstellung von Soldaten verpflichtet.

Der 1. Weltkrieg
Im 1. Weltkrieg (1914-1918) wurden an 419 Gertianoscher Soldaten für Mut und Tapferkeit Orden und Auszeichnungen verliehen. Das auf dem Gemeindefriedhof errichtete Kriegerdenkmal steht als Zeuge des ehrfurchtsvollen Gedenkens an jene die den Heldentod starben.



Zu den materiellen Opfern der Gemeinde gehörten die für Kriegszwecke enteigneten Kirchen- und Friedhofsglocken (3 + 2) und die Aufwendungen zur Einrichtung eines Erholungsheimes für Genesende im Schulgebäude.
Die politischen und staatsrechtlichen Folgen des Krieges berührten auch das Status quo ante (Zustand vor der Änderung) des Ortes: Nachdem 1918 Serben die Herrschaft übernahmen und Machtübergriffe ausübten (Plünderungen, Beschädigung des Gemeindearchivs) blieb Gertianosch 1919 kurze Zeit Niemandsland.
Mit der Unterzeichnung des Friedensvetrages von Trianon wurde die Gemeinde eine Grenzstation zwischen Großrumänien und Jugoslawien und erst entlastet, als Rumänien am 17. August 1924 im Tausch gegen Modosch und Pardany die Großgemeinde Hatzfeld erhielt und die Grenze nach Westen verlegt wurde.


Der 2. Weltkrieg
Der 2. Weltkrieg war das folgenschwerste geschichtliche Ereignis für Gertianosch:
72 Gertianoscher Männer sind gefallen, blieben vermisst oder starben im Lazarett. Nach der angeordneten Flucht im September 1944 und danach blieben fast nur alte Männer und Frauen zurück. In Großbetschkerek (heute Zrenjanin/Jugoslawien) erschossen Partisanen 28 sich auf der Flucht befindende unschuldige Gertianoscher Männer wegen ihrer deutschen Volkszugehörigkeit.
Maßloses Leid und bittere Not erfuhren auch die Gertianoscher durch die Zwangsarbeit in Russland, die Kriegsgefangenschaft, die Enteignung, die Zwangsumsiedlung in die Baragansteppe und nicht zuletzt durch die politische und nationale Entrechtung.  

Diese Gertianoscher Frauen mussten freiwillig bei dem Wiederaufbau der Sowjetunion helfen, so wurde das damals genannt. Viele mussten ihre kleinen Kinder zurücklassen und sie wussten nichts von ihrem Ehemann, Bruder oder Vater. Es sei hier bemerkt, dass etwa ein Sechstel dieser Freiwilligen den Aufenthalt in den Arbeitslagern mit lebenslanger Krankheit oder gar mit dem Leben bezahlt haben. Interessant ist weiterhin zu bemerken, dass man damals fast nur Volksdeutsche für den freiwilligen Wiederaufbau abgeordnet hat.  

Rumänische Kolonisten aus Bessarabien, der Dobrudscha, der Moldau u. a. Landesteilen strömten nach Gertianosch, nahmen die Häuser, den Boden und die dazu gehörenden Produktionsmittel in Besitz und übten ab sofort einige Jahre eine uneingeschränkte, oft willkürliche Macht im Namen des Staatsvolkes aus.
Das deutsche Gertianosch erlitt einen schmerzhaften Schicksalsschlag. Eine harmonische Einheit zwischen Raum und Natur, zwischen den seelischen Bindungen von Mensch und Mitmensch wurde zerstört. Nur allmählich fanden die sich zu Hause befindenden Überlebenden und die Heimkehrenden wieder zusammen, aber nur befristet, denn die Aussiedlung im Rahmen der Familienzusammenführung, ein unvermeidlicher Vorgang, setzte ein und ist gegenwärtig für Gertianosch abgeschlossen.

Kurz nach dem II. Weltkrieg "knirschte" es zwischen Tito-Jugoslawien und der stalinistischen Sowjetunion. Daraufhin wurden alle "unzuverlässigen Elemente" aus der Grenzregion zwischen Jugoslawien und dem damals besetzten Rumänien in die Baragan-Steppen im Osten Rumäniens zwangsumgesiedelt. "Unzuverlässig" waren jene Bürger, die vor dem Krieg selbstständig gewirtschaftet haben und Arbeitnehmer beschäftigt hatten. Sie waren also sogenannte "Ausbeuter" und im Sommer 1951 wurden etwa 30.000 Personen kurzfristig und ohne ausreichende Vorbereitung des neuen Siedlungsgebietes umgesiedelt. Viele waren erst kurz zuvor aus den sowjetischen Arbeitslagern heimgekehrt.  

  

Ein Teil dieser "Elemente" aus Gertianosch. Im Hintergrund das "Material" für ein Hausdach.


So sah die fertige Siedlung aus: Die Hütten waren aus handgefertigten und luftgetrockneten Lehmquadern, ohne Fundament und Isolierschicht gegen aufsteigende Feuchtigkeit sowie mit Rohr gedeckt. Bei Überschwemmungen durch den Fluss Prut dauerte es nur Minuten bis sie zusammenstürzten. Die Einwohner hatten den Stempel "domiciliu obligatoriu" (dt. Zwangsaufenthalt) im Personalausweis. Übrigens: Bis zum Tode Stalins gab es keine allgemeine Bewegungsfreiheit in Rumänien. So mussten z. B. Sportler mit genehmigten Listen zu den Auswärtsspielen reisen.  

Im Dezember 1989 kam es zum Sturze des Ceausescu-Regimes. Kurz danach begann die massenweise Auswanderung der Volksdeutschen. Beiliegend eine Schilderung (PDF-Datei mit 172 KB) der letzten Tage im kommunistischen Rumänien, aus Sicht eines Betroffenen:


Die letzten Tage im goldenen Käfig_172KB.pdf


Bevölkerung

Als quantitativer Prozess wird die Bevölkerungsentwicklung durch 3 in Wechselbeziehung stehende Faktoren bewirkt: das generative Verhalten (die Fruchtbarkeit), die Sterblichkeit und die Migration. Dieser Prozess widerspiegelt bis 1944 in Gertianosch 3 Phasen:
Phase I (ca.1785 - 1835) mit einem hohen Bevölkerungsumsatz, gekennzeichnet durch hohe Geburten- und Sterbeziffern. Den größten Überschuss an Gestorbenen gab es in dem Jahrzehnt 1830-1840 als Folge einer Epidemie (Cholera).
Phase II (ca. 1835-1895) mit einer Steigerung der Zuwachsraten durch das Abnehmen der Sterbeziffern bei hohen Geburtenziffern.
Phase III (ca. 1895-1944) mit sinkenden Geburtenziffern bei Sterbeziffern, die auf niedrigem Niveau relativ konstant blieben. Der Bevölkerungsumsatz und die Zuwachsraten waren gering.

Im Herbst 1944 begann eine Entwicklung, die zwar einen quantitativen Anstieg der Gesamtbevölkerung, jedoch eine stark abnehmende Zahl der Deutschen verzeichnete.
Ursachen sind:
a) Die Zuwanderung zahlreicher rumänischer Familien mit einem relativ hohen Bevölkerungsumsatz und einer steigenden Tendenz der Zuwachsrate;
b) die Flucht, Kriegsgefangenschaft, Zwangsarbeit und Zwangsumsiedlung der Deutschen;
c) die Binnenmigration (Land-Stadt-Wanderung).
Zu Beginn des Jahres 2002 lebten noch 60 größtenteils ältere Deutsche in Gertianosch.




Glaubensgemeinschaft
 

Die Gertianoscher Glaubensgemeinschaft war katholisch. Als erster deutscher Seelsorger der Gemeinde wirkte Pfarrer Peter Graf von Klein-Jetscha. Ein selbständiges Pfarramt bekam Gertianosch mit dem 1. November 1785. Die Kirche wurde zwischen 1803-1804 erbaut und am 9. Oktober eingeweiht. Der Heilige Maximilian ist ihr Schutzpatron. Für die heute noch in Gertianosch lebenden Katholiken sorgt Pfarrer Karol Nagy aus Hatzfeld.
1785 wurde der Gemeindefriedhof an die heutige Stelle verlegt und die Rosalienkapelle unter einem Kalvarienberg mit den Stationen des Kreuzweges errichtet. Am 4. September 1925 wurde das Kriegerdenkmal zu Ehren der gefallenen Gertianoscher im I. Weltkrieg eingeweiht.


Das Kriegerdenkmal zu Ehren der gefallenen Soldaten im II. Weltkrieg konnte erst nach dem Sturz des Ceausescu-Regimes errichtet werden. Es besteht aus einem Gedenkstein mit den Namen aller gefallener Gertianoscher Soldaten und den 14 Gräbern der in Gertianosch gefallenen Deutschen Soldaten.



Wirtschaft

Die Landwirtschaft
Lebensgrundlage für die Mehrheit deutscher Gertianoscher Siedler war, bis zur Enteignung (1945), die Landwirtschaft.
Im Feldbau herrschte anfangs die Dreiflurenordnung: 1. Sommerflur, 2. Winterflur, 3. Brache, um danach, beginnend mit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, schrittweise zu einer modernen Agrotechnik überzugehen.
Peter Klug kaufte 1924 den 1. Traktor. In der Gemeinde gab es 1935 schon 95 Sämaschinen, 62 Quadratsetzer, 96 Mähmaschinen, 5 Traktoren, 1 Saatreinigungsmaschine, 1 Sä- und Kunstdüngermaschine u.a.. 
Es ist zu vermerken, dass die Viehzucht der Zweckmäßigkeit einer optimalen Auslastung jedes einzelnen Bauernhofes untergeordnet war, da die Gemeinde keine Hutweide besaß. Eine Ausnahme bildete die Schweinezucht und begrenzt die Hühnerzucht. Schweine wurden nach Temeschburg und Wien, Hühner und Eier nach Italien geliefert. Mit Erfolg versuchten sich auch einige Gertianoscher in der Bienen- und Seidenraupenzucht. Die Seidenraupenzüchter lieferten 850 kg Kokons (im Jahr 1922) und 156 Bienenvölker erzeugten (1934) 2340 kg Honig.

Als es noch keinen elektrischen Strom gab, und ihn auch niemand vermisst hat, konnte man das Korn mit der modernsten Technik mahlen - lange bevor man etwas von Klimaerwärmung bemerkt hat. "Wer in die Zukunft sehen möchte, muss in dem Buche der Vergangenheit blättern" hat ein kluger Mann gesagt. Hier ein Bild aus dem Buche der Vergangenheit: man konnte nicht nach Zeitplan arbeiten aber dafür war die Energie kostenlos. In der Pannonischen Tiefebene bließ der Wind ganz kräftig...  Leider ist die Mühle infolge eines Blitzschlages abgebrannt und wurde nicht wieder aufgebaut.  


Das Gewerbe
Eine sich im ländlichen Raum entwickelnde Gemeinschaft benötigt unverzichtbar das Handwerk. Durch den wirtschaftlichen Aufschwung der Gemeinde konnte das Gewerbe die Schwierigkeiten der Ansiedlungszeit schrittweise überwinden und im Jubiläumsjahr 1935 mit Stolz 33 Zweige vorzeigen. Die Gertianoscher Meister genossen in der Gemeinde, aber auch darüber hinaus hohes Ansehen, denn sie leisteten Qualitätsarbeit und sorgten gleichzeitig für gut ausgebildeten Nachwuchs.         So machten 1935 in Gertianosch 21 Lehrlinge und 30 Gesellen eine gründliche handwerkliche Ausbildung.

Nichts ist so beständig wie der stetige Wandel. Manche Wirtschaftszweige schrumpfen, andere wachsen oder sind neu. 

Die Industrie
Im 19. Jh. entstanden auch in Gertianosch industrielle Unternehm die landwirtschaftliche Erzeugnisse und Tonerde, die hier in einer Tiefe von 1,5 m bis 18 m reichlich vorzufinden ist, verarbeiteten. Schon 1854 wurden drei Ziegeleien errichtet: die "Große Ziegelei" von Christian Kloß, die "Kleine Ziegelei" von Michael Röser und eine dritte von der Gemeinde. Die ersten zwei kaufte nach dem 1. Weltkrieg die Familie Petö aus Billed und änderte die Firmennamen in: "Concordia" bzw. "Doktor Petö Ziegelei AG". Ihre Erzeugnisse, die Mauer- und Dachziegel bester Qualität waren in ganz Rumänien gefragt.
Am 10. August 1881 war die Windmühle fertiggestellt und erbrachte, bei gutem Wind, eine Tagesleistung von 25 Meterzentner Getreide. Leider fiel dieses romantische Gertianoscher Wahrzeichen der Verwendung einer regenerativen Energie 1930 den Feuerflammen zum Opfer.

Eine Flachmühle wurde 1906 erbaut, zwischen 1880-1890 die erste Dampfmühle, 1918 stellte man die "Kotila" Mühle auf Motorbetrieb um, der 1924 die "Torontaler Walzmühle AG" folgte. Zwei Ölmühlen verarbeiteten Raps, Sonnenblumen- und Kürbiskerne, Hanf-, Lein-, und Moharsamen. Hinzu kamen zwischen den 2 Weltkriegen noch mehrere Schrotmühlen.
Andere industrielle Unternehmen waren: eine Rollvorhangfabrik, eine Essigfabrik, Branntweinbetriebe, Milchgenossenschaften, Käsereien und Metzgereien.

Der Handel
Mit dem Bau der Bahnlinie "Szegedin-Temeschwar" im September 1857 entstehen in Gertianosch einige Zweige des Großhandels. Spitzenreiter waren die "Produktenhändler" (Getreide) , die 1873 schon 17 Lagerräume hatten. Die Holzhandlungen führten auch Eisenwaren, Kalk und Baustoffe.
Der sich im Aufschwung befindenden Wirtschaft folgten auch moderne öffentlich rechtliche und genossenschaftliche Kreditinstitutionen. Die erste Sparkasse , als "Gertianoscher Sparkasse" bezeichnet, wurde 1871 von Adam Röser ins Leben gerufen. Der Gründer des "Gyertyamoscher Selbsthilfeverein" war Oberlehrer Matthias Hoffmann. Es folgten: der "Spar- und Vorschussverein", die "Gyertyamoscher Raiffeisen-Genossenschaft", die "Landwirtschaftliche Kreditgenossenschaft" und die "Kreditgenossenschaft".



Die Dienstleistungen
Der Einzelhandel passte sich in der Angebotsform und der Zusammensetzung dem Wandel der Zeit an. Die 12 Geschäfte ("Greislereien") führten Gemischt- und Schnittwaren und für das leibliche Wohl sorgten 10 Gaststätten.
Gleichzeitig mit der Eisenbahn bekam Gertianosch ein Postamt (1857), das auch für die Ortschaften Klein-Jetscha, Billed, Alexanderhausen, Neusiedel, Ketscha, Bobda, Tschene, Nemet, Uiwar, Pustinisch, Aurelhausen, Otelek, Johannisfeld, Pardany und Itebe zuständig war. Der Telegrafendienst wurde 1887 eingeführt und fusionierte 1888 mit dem Postamt. Das Telefon kam 1904 hinzu.
Als Pioniere des Gertianoscher Gesundheitswesens wirkten: Dr. Constantin Adamowitz (ab 1855), Margarete Noll und Elise Englert, Hebammen (ab 1867) und Alexius Basel, Apotheker (ab 1880).
Nach der großen Zäsur von 1944 setzte sich ab 1948 schrittweise die Idee der sozialistischen Planwirtschaft in allen Wirtschaftszweigen durch. So entsteht in der Landwirtschaft (teilweise erzwungen) auch in Gertianosch eine LPG (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft), ein landwirtschaftlicher Großbetrieb auf der Grundlage des genossenschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln, hauptsächlich des Bodens. Der anfangs verzeichnete Fortschritt durch die Einführung industrieartiger Produktionsmethoden wurde durch die negativen Folgen der Planwirtschaft bald relativiert und beschleunigte den von der forcierten Industrialisierung eingetretenen Prozess der Landflucht qualifizierter Arbeitskräfte in die Ballungsräume Temeschburg und Hatzfeld. Das Handwerk wurde fast ausschließlich von Deutschen in vorwiegend verpflichtenden genossenschaftlichen Strukturen (Handwerkergenossenschaft) ausgeübt.
Durch die Zwangsnationalisierung der wichtigsten Produktionsmittel (11.06.1948) löste, in einer Nacht- und Nebelaktion, das sozialistische Eigentum das Privateigentum ab. Infolgedessen bestimmte ausschließlich der Staat die wirtschaftliche Entwicklung aufgrund von Jahres- oder Fünfjahresplänen. Das sozialistische Experiment endete in Gertianosch nach über 40 Jahren Planwirtschaft mit einer traurigen Bilanz - eine herabgewirtschaftete Gemeinde - die sich nur schwer aus eigener Kraft erholen kann. 

Schule
Obwohl die ersten Siedler noch nicht in der Lage waren einen Schulmeister zu bezahlen, lehrte schon 1781 Johann Fuhrmann, ein begabter Handwerker, 18 Schüler in seinem Haus. Johann Müller wurde 1788 als erster geschulter Lehrer von der Gemeinde beauftragt, 115 Schüler zu unterrichten. Im Schuljahr 1884/85 besuchten 589 Alltagsschüler den Unterricht.
Die 1888 eingerichtete "Ovoda“ (Kindergarten) wurde von der staatlichen höheren Behörde mit der Absicht angeregt, die Magyarisierung und in der Nachtrianonischen Zeit die Romanisierung zu beschleunigen. Der muttersprachliche Unterricht spielte, kraft Gesetz, hin und wieder zwangsweise eine untergeordnete Rolle. Allen Maßnahmen zum Trotz blieb das Vorhaben erfolglos.
Zu den Erzieherinnen und Lehrer(innen) der ersten Stunde gehörten: Elisabeth Ballauer, Hilde Barbu (geb. Ballauer), Josef Gilde, Antonia Gerhardt (Erzieherin), Nikolaus Gerhardt, Marianne Neidenbach, Nikolaus Schmidt. Im Laufe der Jahre kamen für längere Zeit noch viele andere dazu: Katharina Arany (geb. Keller), Dorothea Schmitz (geb. Bell), Hiltrud Hochstrasser (geb. Mehler), Adeline Mehler (geb. Martin), Anna Wehner (geb. Heine), als Erzieherinnen und die Lehrer(innen) Herta Bürger, Theresia Csaftary, Herwig Gross, Ernestine Hary (geb. Schütz), Eva Heumann (geb. Schummer), Eva Jakob (geb. Engel), Josef Jakob, Rüdiger Janzer, Johanna Jost, Hans Jung, Hans Kling, Hedwig Lukas, Käthe Lazar, Walter Mehler, Hildegard Mojem (geb. Mersdorf), Walter Petz, Maria Ruß (geb. Klein), Josef Stelzner, Magdalene Wambach (geb. Jost), Heidrun Zamfir (Schackmann), Petronella Wetzler.

Schule und Kirche standen sich inhaltlich, in kommunistischen Zeiten nur räumlich, nahe.  


Direktor Ioan Barbu (stehend v. v. l.) inmitten einiger Kollegen bei einem Leherkollegium in 1967 oder 1968

Vereine
Etwa 28 Vereine und Körperschaften, die zwischen 1869 und 1944 wirkten (beispielsweise: Gesangsverein, Bauernverein, Handels- und Gewerbeverein, Mädchenkranz, Feuerwehrverein, Gertianoscher Sportverein, Bauernkapelle, Muth'sche Kapelle, etc.), ergänzten die Wirkungsbereiche der Schule und der Kirchengemeinde und taten im hohen Maße Dienst am Wohlergehen der Gemeinschaft, an der Erhaltung ihrer Eigenständigkeit, auch dann, wenn die Staatsnation ihre Assimilationspolitik durchsetzen wollte.

Blaskapelle Adam Muth.

Tanzkapelle Josef Diener.

Blaskapelle Peter Kuhn

Stimmung gab es reichlich zum Kirchweihfest. Es dauerte von Samstag bis Dienstag, und weil es so schön war, gab es noch einen Nachschlag, die sogennate Nachkirchweih. Die PDF-Datei (172 KB)enthällt eine Schilderung des Kirchweihfestes aus dem Jahre 1978. Wer hat die Fachkenntnis zur Beschreibung der festlichen weiblichen Volksstracht?


Buwe was han mer_172KB.pdf

Sport wurde groß geschrieben.
Hier ein Bild mit einer Handball-Frauenschaft im Jahre 1949.

"Solang wie te Jinnger-Sepp un te Wegesser-Hans ti Ärm in die Heh strecke, so lang ket in Gertjonosch Handballe gspillt!" hat mal ein Landsmann ausgerufen. Recht hatte er! Diese Mannschaft hat auf beachtlichem Niveau gespielt! Danach gab es noch ein paar Neuversuche, aber das große Gelingen blieb aus...

Neuanfang in Deutschland:

Der Entschluss, seine Heimat zu verlassen, reift nicht "über Nacht". Wenn ein ganzer Volkstamm sich (ohne Abstimmung) darüber einig wird, so müssen im Vorfeld schon einige "überzeugende" Erlebnisse geschehen sein... Andererseits wird ein Neuanfang auch nur gewagt, wenn die Hoffnung auf ein besseres Leben damit verknüpft ist.

Beiliegend eine Schilderung (PDF-Datei mit 112KB) der Umsiedlung und der ersten Zeit in der neuen Heimat in Deutschland, aus Sicht eines Betroffenen, zum Herunterladen.  


Sprechen Sie Deutsch_112KB.pdf

Selbstverständlich gab es auch so manches Wiedersehen mit dem alten Heimatort. Beiliegend, zum Herunterladen (PDF-Datei mit 107KB), eine Schilderung dieses Erlebnisses aus Sicht eines Betroffenen:


Wiedersehen_107KB.pdf



Bemerkenswert:

Aus der Vielfalt dauerhafter Werte, zu derer Entstehung Gertianoscher einen wesentlichen Beitrag leisteten, sind besonders hervorzuheben:

Das Triptychon "Einwanderung der Deutschen in das Banat"
, ein Kleinod Banater Kunstmalerei, das in  Gertianosch seinen Ursprung nahm, denn der Heimatmaler Stefan Jäger wurde vom Gertianoscher Adam Röser angeregt und tatkräftig unterstützt, sein Werk in der uns bekannten Form zu vollenden. Zu Pfingsten 1910 fand die Enthüllung des in Römers Haus geschaffenen Gemäldes, anlässlich der Landwirtschafts- und Gewerbeausstellung in Gertianosch statt. Dadurch gewann das Echo dieser Ausstellung für die Banater Schwaben eine historische Dimension.

Der Gertianoscher Konviktverein
(katholisches Schülerheim), einzigartig für das Banat, errichtete und betreute ein Schülerheim in Szegedin und ermöglichte den begabten Gertianoscher Schülern den Besuch einer Mittelschule.
Die territorialen Veränderungen nach dem 1. Weltkrieg bewegten den Gertianoscher Gemeinderat zu beschließen, das Konvikt zu veräußern und den Erlös in ein ähnliches Projekt zu investieren. Die Gelegenheit bot sich 1925 als in Temeschburg mit dem Bau der "Banatia" begonnen wurde. Gertianosch zeichnete Anteilscheine für 2.000.000 Lei bei der "Banatia Hausbau AG". Zusätzlich wurden von Privatpersonen und Gertianoscher Vereinen Anteilscheine im Wert von 105.000 Lei gezeichnet.
Für die Innenausstattung des Schülerheims der "Banatia" beantragte der in Temeschburg praktizierende Gertianoscher Arzt Dr. Nikolaus Hoffmann eine großangelegte Stiftungsaktion, die in der deutschen Banater Bevölkerung besondere Resonanz fand und mit einem bedeutenden materiellen und moralischen Erfolg abgeschlossen wurde.

Dr. Nikolaus Hoffmann trug wesentlich dazu bei, die deutschen Ärzte des Banates in der "Semmelweis-Ärztegruppe Banat" zusammenzuführen. Die Gründung des "Deutschen Banater Sängerbundes" erfolgte auf eine Initiative des Gertianoscher Gesangvereins. Gemeindepfarrer Otto Dittrich war sein erster Leiter und danach Ehrenobmann. Der Sitz des Vorstandes befand sich bis 1931 in Gertianosch.

Am 14. September 1947 trafen sich acht Landsleute auf zu einem grundsätzlichen Gespräch über die Situation der Banater Schwaben. Unter ihnen war auch Dr. Matz Hoffmann. Die kleine Runde kam überein, einen "Ausschuß der Banater Schwaben" zu bilden. Matz Hoffmann wurde zum Vorsitzenden gewählt. Aus diesem Kreis enstand die "Landsmannschaft der Banater Schwaben in Westdeutschland e.V." Dr. Matz Hoffmann war von 1947 bis 1953 der erste Vorsitzende der Banater Landsmannschaft, dann dankte er aus Gesundheitsgründen ab und wurde zum Ehrenvorsitzenden gewählt.